Andreas Maurer: Bei mir auf dem Summit ist jetzt Elisabeth L'Orange, einer der prägenden Köpfe der deutschen KI-Szene und Technologiewirtschaft. Elisabeth ist Partnerin bei Deloitte, regelmäßig bei Vorträgen rund um die Themen Cloud, KI und digitale Souveränität zu hören und hat mit Tech and Tales auch ihren eigenen Podcast. Hallo Elisabeth.
Elisabeth L'Orange: Hi, vielen Dank, dass ich da sein darf.
Andreas Maurer: Du sitzt ja gleich auf einem Panel mit der Überschrift "Künstliche Intelligenz und digitale Souveränität: Wie bleibt oder wird Europa unabhängig?". Wo steht Europa im Moment?
Elisabeth L'Orange: Europa ist auf der einen Seite noch in den Kinderschuhen. Das heißt, wir haben nicht an der großen Entwicklung der großen Modelle teilgenommen. Wir hatten dafür nicht das Kapital, es fehlte die Kapitalkultur. Aber wir haben sehr gute Wissenschaftler, wir haben ein sehr breites Ausbildungssystem. Das heißt, perspektivisch werden wir viele ITler, heißt das ja auf Deutsch, graduieren und haben dennoch die Chance, glaube ich, an dem ganzen AI Game teilzunehmen. Insbesondere, weil ich glaube, dass die Zukunft nicht unbedingt in den LLMs liegt (also sicherlich auch), aber wir werden, um AGI zu erreichen, garantiert eine andere Technologie, andere Modelle brauchen. Dafür werden wir auch andere Daten brauchen. Ich denke, dass wir eher Daten aus der physischen Welt nehmen werden. Das heißt Daten, die aus der autonomen Autofahrt zum Beispiel gewonnen werden, und von Robotern und so weiter. Das Game ist noch lange nicht zu Ende. Auf der anderen Seite sieht man an Unternehmen oder an Modellen wie Deep Sea oder auch an Black Forest Labs, dass der Einstieg in das Spiel sozusagen durchaus möglich ist, wenn man andere Architekturen baut, wenn man smartere Modelle baut – aus Notwendigkeit heraus quasi, weil beide Unternehmen hatten nicht das Funding oder nicht die Ressourcen, die die amerikanischen Modelle hatten. Daher: Ich glaube, es ist möglich. Wir müssen nur nicht aufgeben.
Andreas Maurer: Jetzt ist Black Forest Labs ja auch ein Unternehmen, das beispielsweise mit anderen großen US-Playern mittlerweile zusammenarbeitet. Mit X gibt es da ja eine Kooperation. Haben wir denn in Deutschland heute schon große Player im KI-Feld, von denen man sagen kann, okay, das könnte noch eine größere Nummer werden?
Elisabeth L'Orange: Na ja, es gibt auf der Applikationsebene sicherlich Palora, es gibt Cognity, es gibt Black Forest Labs, es gibt einige kleinere Unternehmen. Auch gerade im Defense-Bereich zum Beispiel, gibt es auch welche, die Dual Use viel machen. Das heißt, die können ganz anders entwickeln. Also sicherlich gibt es auf der Ebene viele. Wenn man sich die Wertschöpfung der künstlichen Intelligenz in vier Ebenen vorstellt, dann gibt es auf der einen Seite die Chips, dann gibt es die Rechenzentren und die Foundation Models. Und als letzte Ebene die Anwendung. In den ersten dreien, glaube ich, wird es sehr schwer sein für uns. Also auf der Datenebene vielleicht noch, aber bei den Foundation Models sicherlich nicht so. Das heißt, in der letzten Ebene haben wir aber durchaus sehr gute Anwendungsmöglichkeiten von künstlicher Intelligenz. Wir sind tatsächlich in der Anwendung auf Management-Seite weltmarktführend oder weltführend, weil bei uns einfach die Leute recht schnell angefangen haben, die Produkte zu nutzen und KI in den Unternehmen einzuführen. Ich glaube schon, dass die Chance da ist. Es wird nur ein bisschen dauern auf der einen Seite und wir müssen natürlich investieren. Wir müssen das Ökosystem stärken, wir müssen es weiter ausbauen. Über Nacht wird es nicht passieren und es auch nicht von alleine, aber wenn wir uns alle ein bisschen Mühe geben, dann haben wir eine Chance, glaube ich.
Andreas Maurer: Was brauchen wir denn, damit es erfolgreich wird? Kann das die Industrie alleine stemmen, oder wo muss beispielsweise auch die Politik, sei es jetzt die deutsche oder die europäische, unterstützen?
Elisabeth L'Orange: Ich glaube, ein falscher Gedanke oder eine Fehlannahme ist, dass diese überschwängliche Regulatorik immer aus Europa, also aus Brüssel, kommt. Natürlich ist die DSGVO wahnsinnig nervig und hinderlich, auch beim Gründen von Unternehmen. Der AI Act ist sehr hinderlich beim Bauen von AI-Unternehmen. Aber wenn wir uns das europäische Ausland angucken, sind andere Länder durchaus in der Lage, digitale Produkte zu bauen und quasi digitale Bürokratie zu haben. Wenn man nach Estland guckt, zum BeispiElisabeth L'Orange: Die haben 1,36 Millionen Einwohner. Das ist fast ein bisschen kleiner als meine Heimatstadt Hamburg und sie haben in den letzten Jahren mehr als 10 Unicorns produziert. Und wir haben in Deutschland 30 Unicorns produziert im gleichen Zeitraum, obwohl wir 60 Mal so viele Einwohner haben. Das heißt, wir sollten sehen, was wir innerhalb Deutschlands machen können, wie wir die Bürokratie quasi in den Griff kriegen können. Das ist das Hauptproblem, um Unternehmen groß zu machen momentan in Deutschland und um überhaupt zu gründen.
Andreas Maurer: Jetzt haben wir seit der neuen Bundesregierung zum ersten Mal ein dezidiertes Digitalministerium. Denkst du, dass wir da in Deutschland auf dem richtigen Weg sind?
Elisabeth L'Orange: Na klar, ich glaube, Dorothee Bär gibt sich große Mühe auch mit der Hightech Agenda, die gerade gelauncht wurde. Das ist sehr begrüßenswert, dass überhaupt etwas gemacht wird. Auch die verschiedenen Initiativen in Heilbronn, da werden neue Ökosysteme geschaffen. Ich meine, das sind alles Dinge, die dringend notwendig sind. Vor allen Dingen, wenn man das vergleicht mit den USA: Dort ist das Silicon Valley in den 30er Jahren, als es entstanden ist, auch nicht organisch entstanden. Das waren auch nicht die Märkte, die das geregelt haben, sondern es war die Regierung, die insbesondere Rüstungsunternehmen beziehungsweise Defense gefördert hat. Der Venture Capital kam alles ins Valley, weil eben so viel Defense da war. Hewlett-Packard, ich glaube, die wurden 1937 gegründet. Das war eins der ersten Unternehmen, und das ganze Ökosystem da nur gewachsen, weil die staatliche Subventionen hatten und nicht unbedingt, weil Investoren von außen kamen und die Unternehmen für so interessant befunden haben. Das heißt, die Annahme, dass es von alleine geht, stimmt eben nicht. Deswegen denke ich, brauchen wir staatliche Förderung. Dieses Digitalministerium ist eine gute Sache, ist eine gute Idee, ist ein guter erster Schritt. Es ist immer schwer, von null auf eins zu kommen, aber es ist jedenfalls besser als gar nichts.
Andreas Maurer: Anderes Thema: Da habe ich gerade eben auch mit unserem Produktvorstand und einem Kollegen von Hochtief gesprochen. Was jetzt seit einem guten halben Jahr durch das Land geistert, sind die sogenannten AI Giga Factories, die die Europäische Kommission ausschreiben will. Es gab ja Mitte des Jahres einen Call for Expression of Interest und wir rechnen damit, dass Ende diesen, Anfang nächsten Jahres dann wirklich die Ausschreibung kommt. Wie beurteilst du dieses Projekt, dass wir da wirkliche riesige KI-Rechenzentren in Europa bauen sollen?
Elisabeth L'Orange: Ebenfalls genauso wie die Hightech Agenda: Es ist immer noch besser als nichts. Es wird ein schwieriges Unterfangen werden aufgrund der Energiepreise. Wenn man sich die Kilowattstunden in Deutschland anguckt, dann liegen wir so um die 20 Cent. Wenn man nach Finnland schaut, dann sind es 9 Cent und das ist auch EU. Das heißt, im Prinzip kann man sich seine Cloud oder auch seine Rechenzentren zum Berechnen von künstlicher Intelligenz überall hinstellen. Es sollte vielleicht nicht zu weit weg sein, um nicht zu viel Latenz zu haben, aber natürlich müssen die irgendwann möglichst in der Nähe von den kleinen neuen Ökosystemen sein, die hoffentlich gerade am Wachsen sind, wie zum Beispiel rund um die TUM in München, oder in Berlin, das heißt dann in Brandenburg und so weiter. Ich glaube, dass wir dringend eine Souveränität brauchen auf technologischer Seite. Wir brauchen eine souveräne Cloud, koste es, was es wolle. Wir brauchen dringend souveräne KI, ebenfalls koste es, was es wolle. Denn wenn wir es nicht haben, verlieren wir die komplette Souveränität über unsere Informationen. Wir verlieren die Möglichkeit oder die Fähigkeit, Information, Wissen zu kuratieren, Meinung zu kuratieren. Alles, was in den LLMs steckt, ist ja ein Spiegel der Gesellschaft, und vor allem momentan in den USA, weil die Trainingsdaten überwiegend amerikanisch sind, aber unsere Realität ist ja nicht so amerikanisch. Wenn später die Schulen ihr Wissen kuratieren basierend auf diesen LLMs, und medizinische Diagnosen gefällt werden aufgrund der LLMs und der künstlichen Intelligenz, und alles, was drin steckt, quasi das gesamte Wissen, eben nur amerikanisch ist, dann verlieren wir irgendwann nicht nur unsere eigene Kultur, aber eben auch diese Wissenshoheit, und das ist, glaube ich, nicht wünschenswert.
Andreas Maurer: Digitale Souveränität ist ja heute hier auch das Hauptthema beim ganzen IONOS Summit. Aber die eine große Frage, die immer alle beschäftigt, ist: Was ist denn digitale Souveränität tatsächlich? Wie sieht denn deine Definition aus? Du hast ja eben beim Thema KI diese vier Ebenen genannt, wo du sagst, eigentlich kann Europa nur auf der letzten, auf der Applikationsebene, mitspielen. Was brauchen wir denn, um in einer Technologie tatsächlich souverän zu sein, aus deiner Sicht?
Elisabeth L'Orange: Wir sollten Open Source Modelle nehmen und die mit unseren eigenen Informationen, eigenen Daten anreichern. Es gibt sehr viel Domänenwissen, insbesondere in unserem Mittelstand. Und dieses Domänenwissen sollte zum Trainieren von eigenen kleinen Modellen genutzt werden. Ich habe zum Beispiel vor einigen Wochen eine Keynote gehalten bei einem typisch deutschen Mittelständler. Die sitzen in Süddeutschland, das Unternehmen heißt Den, die machen Blitzableiter. Ich habe mich noch nie in meinem Leben voll mit Blitzableitern beschäftigt, aber dann eine Woche lang tatsächlich in der Tiefe. Und dieses Unternehmen hat ganz viel domänenspezifisches Wissen zu Blitzen. Das heißt, die haben Wetterdaten, die sonst kein Mensch hat, und die sind auch in den USA und sind innerhalb des sogenannten Lightning Belt. Tatsächlich ist der Lightning Belt so rund um North Carolina, an der gleichen Stelle, wo der Bible Belt ist, witzigerweise. Dort sammeln sie halt Tag und Nacht Wetterdaten. Und wenn man diese Wetterdaten korreliert mit den öffentlichen verfügbaren Wetterdaten, mit deren eigenen Erfahrungsberichten und dann eben mit künstlicher Intelligenz, also mit spezifischen Modellen, könnten die Modelle und Applikationen bauen, die sonst keiner auf der Welt hat. Die sind führend, mit noch zwei, drei anderen Unternehmen, in dieser Domäne. Das heißt, das ist automatisch für deutsche Unternehmen. Die haben sehr, sehr spezifische Daten zu sehr spezifischen Anwendungsfällen, und die müssen wir nutzen, um dann Open Source Modelle darauf zu trainieren und dann irgendwann später quasi anzubieten. Das ist die Industrie 2.0, meines Erachtens.
Andreas Maurer: Da habe ich tatsächlich auch ein schönes Beispiel, wo IONOS aktiv ist. Ich hatte so ein lustiges Erlebnis im September. Da war ich nämlich zum allerersten Mal auf einer Messe, von der ich auch noch nie gehört habe: die "Schweißen und Schneiden 2025".
Elisabeth L'Orange: Klingt super spannend.
Andreas Maurer: Ja, war tatsächlich super spannend. Ich habe leider nicht die Zeit gehabt, mir alle Hallen anzugucken, aber es waren schon recht imposante, interessante Maschinen. Da ging es tatsächlich darum, dass wir mit der Industry Fusion 2.0 Foundation zusammen gerade den ersten digitalen Datenraum Data Space für die Industrie aufbauen. Wo es genau darum geht, was du am Anfang auch sagtest: Wir haben eben viele Daten aus der Industrie, aus Maschinen, sensorische Daten, die eben wirklich zusammenzubringen und sinnvoll nutzbar zu machen. Das sind tatsächlich Projekte, die schon laufen, und da ist Deutschland, glaube ich, tatsächlich auch wirklich schon recht weit dabei.
Elisabeth L'Orange: Auf jeden Fall. Was ich begrüßenswert finden würde, wären einfach – ich will nicht sagen Zugeständnisse der Regierung – aber Möglichkeiten, dass große Clouds entweder subventioniert werden oder dass die Strompreise für die Clouds besser werden, weil das einer der entscheidenden Faktoren ist. Und das Nächste, was begrüßenswert wäre, wäre, wenn deutsche Start-ups oder junge Unternehmen, die im Wachstum sind, quasi auch als Support oder Subventionierung der Bundesregierung Cloud-Zeiten bekommen könnten. Ich weiß noch selber, ich hatte ja selber ein KI-Start-up, und wir haben wahnsinnig viel Geld an die großen Hyperscaler jeden Monat überwiesen, um unsere Modelle zu berechnen, um die Abfragen in die Inferenz zu machen. Das Ganze wäre wesentlich angenehmer gewesen, glaube ich, auch finanziell, wenn wir Unterstützung gehabt hätten an der Stelle. Ich glaube, das wäre auch ein fairer Weg, sowohl die Innovation als auch das Wachstum zu unterstützen, weil die deutschen Unternehmen typischerweise das Problem haben, dass sie in der Wachstumsphase (also ab Series A) nicht genug Investoren finden und häufig abwandern. Diese finanzielle Belastung, die KI-Unternehmen haben – 90% der Kosten gehen tatsächlich in Berechnung, also in die Cloud an der Stelle – das könnte man damit mitigieren. Und es wäre von der Bundesregierung, glaube ich, ein fairer Weg, da den gesamten Bereich voranzutreiben.
Andreas Maurer: Eine Frage ist natürlich, wenn wir jetzt über Souveränität reden und dann beispielsweise noch Förderungen von der Regierung wollen, aber noch mal zurück: Was heißt souverän? Das ist natürlich eine Diskussion, wo wir als IONOS auch eine sehr dezidierte Meinung haben. Aber die Frage ist: Kann ein Hyperscaler aus europäischer Sicht tatsächlich eine datensouveräne Lösung überhaupt anbieten?
Elisabeth L'Orange: Das ist eine juristische Frage, weil die haben ja immer den CLOUD Act, der wie ein drakonisches Schwert über ihnen hängt. Das ist das Gesetzwerk aus den USA, das regelt, dass wenn quasi Gefahr im Verzug ist (also wenn ein Terroranschlag droht oder etwas von ähnlicher Schwere), dann darf die US-Regierung sich Zugang verschaffen zu den Daten, die bei den jeweiligen amerikanischen Unternehmen, egal wo sie in der Welt sind, über die Server laufen. Das Ganze kann man natürlich vermeiden, indem man seine Daten verschlüsselt, also "Bring Your Own Key" zum Beispiel. Es gibt ja verschiedene Maßnahmen, aber das wird dann erschwert, wenn man zum Beispiel Dashboards sehen möchte und so weiter, weil dann kann man die Daten halt nicht wieder verschlüsselt über die Server laufen lassen. Die Souveränität stellt sich für große Hyperscaler als schwierig dar. Man kann sicherlich Tochterunternehmen gründen und so weiter, und es gibt da verschachtelte Konstrukte. Ich kann das abschließend nicht bewerten, wie weit das geht. Das sind dann am Ende richterliche Entscheidungen, wie weit da die Tentakel der Gesetzeskrake sozusagen reichen, auch vonseiten der USA. Aber natürlich wäre es wünschenswert, wenn wir lokale Anbieter haben, so wie IONOS zum Beispiel, die das Problem lösen.
Andreas Maurer: Ich glaube, aus Unternehmenssicht wäre auf jeden Fall schon mal der erste Schritt, über eine Multi-Cloud-Strategie nachzudenken. Dass ich mir, wenn ich heute bei einem Hyperscaler bin, überlege: Kann ich meine Daten zumindest teilweise auch woanders hinlegen? Kann ich sie spiegeln? Wofür ich natürlich wieder auch entsprechend offene Schnittstellen brauche und gucken muss, dass mein bisheriger Anbieter keinen Vendor Lock-in versucht.
Elisabeth L'Orange: Korrekt. Also Vendor Lock-in, das ist immer der absolute Albtraum jedes Unternehmens, dass sie irgendwann in völlige Abhängigkeit geraten. Auf der anderen Seite ist es halt so, dass viele Cloud-Anbieter andere Produkte mitverkaufen, wenn sie Cloud verkaufen, und das ist für einige Unternehmen sehr attraktiv. Das heißt, da ist es intern immer eine Abwägung: Ist es ein allgemeines Geschäftsrisiko, ob der CLOUD Act irgendwann einschlägig wird, wofür sie ganz viele andere Produkte for free bekommen? Oder ist ihnen eben die Souveränität so wichtig, dass sie sich ihre GPUs in den Keller stellen? Ehrlich gesagt, es gibt alles davon. Es gibt einige wirklich, die bauen sich kleine Rechenzentren in den Keller und lassen die dann irgendwie selbst runterkühlen und fahren zum Großhändler und kaufen sich H100s momentan oder B2, egal. Aber ultimativ ist es so, dass es eigentlich nicht sein kann, dass wir auf europäischer Ebene das nicht liefern können.
Andreas Maurer: Zum Schluss vielleicht noch eine Frage zu zwei Schlagwörtern, die jetzt auch schon seit Monaten bis sogar über einem Jahr herumlaufen bei uns, nämlich der Eurostack und der Deutschlandstack. Eurostack gab es zuerst, ich glaube, seit September vor dem Jahr kam der aus Brüssel als Konzept. Das heißt, wie kann ich einen Technologiestack aufbauen, auf dem möglichst alle Ebenen irgendwie unabhängig werden? Jetzt gerade letzte Woche hat sich, glaube ich, auch der Eurostack in Deutschland als Verein gegründet. Der Deutschlandstack war erstmal ein Begriff, der, glaube ich, im Koalitionsvertrag drin stand, ohne dass man ihn weiter spezifiziert hat, der gewinnt jetzt langsam auch an Fahrt. Denkst du, das sind richtige Ansätze, um tatsächlich zu mehr Souveränität für Europa zu kommen?
Elisabeth L'Orange: Das ist ein hehres Unterfangen, mit den größten Unternehmen der Welt konkurrieren zu wollen und quasi bessere Produkte zu bauen als die. Die Produkte, die es momentan gibt, die sind schon wirklich das Sicherste und Beste, was es gibt. Die Frage ist nur, inwieweit man das alles auch auf amerikanischen Servern laufen lassen möchte. Ich glaube, das ist die andere Komponente. Ich denke, es wird sehr schwer sein, so einen kompletten Eurostack oder auch Germany [Deutschlandstack], wie auch immer, zu bauen, wenn man nicht alles irgendwie auf Linux laufen lassen möchte. Aber es gibt schon erste Bestrebungen, erste Behörden, die in Open Source Software tatsächlich arbeiten. Das heißt, klar, wir werden das weiter iterieren und gucken, wo die Reise hingeht, aber die Grundidee, dass wir eigene Dinge bauen, die ist natürlich nicht schlecht.
Andreas Maurer: Wobei ich ein bisschen widersprechen würde: Du sagst, die sind alle so sicher. Ich glaube schon, dass wir in Deutschland und Europa schon eine Reihe von Lösungen haben, die an Sicherheit den Hyperscalern nichts nachstehen. Also, wenn ich jetzt unsere Cloud anschaue, wir haben auch andere Wettbewerber in Deutschland, in Europa, in Frankreich gibt es große Cloud Player. Ich glaube...
Elisabeth L'Orange: Ich meinte nicht Cloud, ich meinte die Software, die damit zusammenhängt. Cloud auf jeden Fall. Da habe ich gar keine...
Andreas Maurer: Ich will nicht sagen, das ist auch nicht so kompliziert, aber das ist ja eher ein Hardwarespiel.
Elisabeth L'Orange: Sicherlich habt ihr Software mit dabei, um das Ganze zu orchestrieren, aber ich meine die eigentlichen, die normalen großen Softwareanbieter.
Andreas Maurer: Wobei wir haben heute gerade hier auf dem Summit IONOS Cloud Workspace vorgestellt als quasi offene europäische souveräne Office-Alternative.
Elisabeth L'Orange: Das Produkt wird sicherlich auch noch weiterentwickelt, aber ich glaube, das ist ein Zeichen. Es gibt Lösungen. Auch beim Thema Deutschlandstack sind wir auch gerade mit zahlreichen Partnern im Gespräch. Einer, der hier, schaue ich gerade von unserem Podcast-Tisch drauf, ist S-Linux, mit der wir zusammenarbeiten. Ich glaube schon, wir haben da einiges zu bieten. Und wenn es nicht gerade auf Linux läuft... Ich meine, Linux kommt aus Europa, und auch bei den Hyperscalern, glaube ich, stehen überwiegend die Linux-Kisten im Rechenzentrums-Keller.
Elisabeth L'Orange: Du, es ist so ist es nicht. Ich finde, es sind alles wunderbar gut funktionierende, vor allem stabile Systeme. Und die anderen Systeme, die alle haben, die crashen da. Nur das Problem ist die Durchdringung sozusagen. Das heißt, wenn alle Unternehmen auf einem oder auf einem anderen System laufen, dann wird es wahnsinnig schwer, sich in dem Kontext durchzusetzen, und vor allen Dingen insbesondere in Deutschland. In Deutschland kaufen sie (das Procurement und so weiter) die Software für die nächsten 10 Jahre ein, und da wird nicht davon abgewichen. Das heißt, das hat eine hohe Komplexität, dann komplette Systeme umzustellen und diese Transformationen zu machen.
Andreas Maurer: Wobei unsere Experten eigentlich sagen, oft ist es eher ein Problem der Menschen und der Köpfe. Denn viele Sachen kann ich umstellen und migrieren, weil ich eben beispielsweise bei einem Office-Produkt diesen Vendor Lock-in nicht mehr habe, weil ich mittlerweile überall eigentlich offene Formate habe. Ich glaube, da ist eher die Herausforderung, wenn ich jetzt auch gerade so an Behörden denke, dass eben viele Leute einfach nicht auf ihre gewohnte Software verzichten wollen. Und vielleicht müssen wir da auch irgendwo ansetzen: Einfach den Leuten zeigen, das geht alles. Ich überlege, ich habe mal angefangen mit Lotus Notes als Mailprogramm. Dann war der Umstieg auf Outlook eine Riesen-Umstellung, dann kam irgendwann Google Mail, und warum soll jetzt nicht ein Nextcloud, Open Exchange oder was anderes auch funktionieren?
Elisabeth L'Orange: Prinzipiell ja, aber Organisationen sind immer Menschen. Das heißt, auch KI-Adoption und so weiter, das ist alles eine Frage der Menschen: Was möchten die? Und danach muss man sich dann am Ende auch richten. Ich glaube, viele Mitarbeiter oder auch viele Menschen grundsätzlich sind momentan schon überfordert mit dem Status Quo. Wir werden alle bombardiert mit neuen Tools, mit neuen Applikationen, mit neuer Software. Grundsätzlich müssen alle permanent neue Dinge lernen, alle setzen sich gerade mit künstlicher Intelligenz auseinander. Es ist einfach sehr schwer, da einen Wandel herbeizuführen. Ich denke aber, wenn Produkte kommen, die eine bessere UX/UI haben als die existierenden Mailprogramme, Textverarbeitungsprogramme, dann würde jeder sofort umspringen. Ich kenne ehrlich gesagt wenige, die komplett zufrieden sind mit den jeweiligen Lösungen. Es gibt Lösungen, die sind sehr instabil, es gibt Lösungen, die sind nicht kompatibel und so weiter. Wenn es wirklich Produkte gibt, die das alles abdecken... Ich habe alle Mailprogramme, die es gibt auf dieser Welt, und ich bin mit keinem zu 100% zufrieden. Bei dem einen gibt es keine Ordner, bei dem einen gibt es keine richtige Wiedervorlage. Alles ist so ein bisschen defizitär. Ich habe auch schon, es gab so, ich glaube, es hieß Human oder so. Es gibt so fancy E-Mail-Programme aus den USA, die sehr intuitiv sein sollen, aber selbst das habe ich, und ich habe 20 Dollar oder so monatlich dafür gezahlt, und selbst das deckte halt nicht meine Bedürfnisse ab. Ich glaube, da ist immer Raum, um Dinge zu verbessern, und insbesondere mit künstlicher Intelligenz wird das viel einfacher werden.
Andreas Maurer: Das kann ich beim E-Mail-Programm auf jeden Fall unterschreiben. Das geht mir genauso.
Elisabeth L'Orange: Warum gibt es da keins, das das alles kann? Beim Kalender ist es das Gleiche.
Andreas Maurer: Ja, und ich würde beim E-Mail sogar sagen – ohne jetzt Werbung für den eigenen Konzern zu machen: Wenn ich mir jetzt GMX gegenüber Gmail angucke, finde ich GMX persönlich intuitiver. Von daher haben wir in Deutschland ja auch mit den Kollegen von GMX/Web.de einen sehr hohen Marktanteil, aber halt auch nur hier, und auch da ist sicherlich Luft nach oben. Zum Schluss vielleicht der Blick in die Glaskugel. Wie gesagt, wir diskutieren heute hier noch, haben den ganzen Tag diskutiert, diskutieren noch weiter über digitale Souveränität. Werden wir in fünf Jahren in Deutschland und Europa ein Stück souveräner sein als heute?
Elisabeth L'Orange: Ich denke schon. Ich denke einfach, weil ich unser Potenzial sehe. Wenn man in die USA schaut: Da sind sehr große Löcher in der Bildung. Momentan ist es so, dass in den USA laut einer BCG-Studie jeder dritte erwachsene Amerikaner nur lesen und schreiben kann wie ein zehnjähriges Kind. Wir schaffen es in Deutschland immerhin, unsere breite Masse sehr gut zu bilden und auszubilden. Ich denke, wenn das so weitergeht, ist das unser größtes Asset. Die neueste Generation ist definitiv das wertvollste, was wir haben. Wir müssen sie weiter fördern und weiterbringen, aber ich will sagen, die werden es richten, da steckt auf jeden Fall viel mehr Potenzial noch drin. Wir haben eben nicht diese wahnsinnig polarisierte, gespaltene Gesellschaft, die an anderen Stellen existiert, und ich glaube, das ist sehr viel wert, ehrlich gesagt. Auch, dass unsere Demokratie relativ stabil ist, und dass wir es schaffen, gute, freie Universitäten zu haben. Deswegen denke ich schon. Das wird nur ein Stück Arbeit kosten. Wir brauchen Investitionen von staatlicher Seite und viel Support an vielen Stellen, aber die Chance ist auf jeden Fall da.
Andreas Maurer: Vielen Dank, Elisabeth L'Orange.